Im Land der wilden Biber - Band 2

Leseprobe: 

Häschen Annegret hängt im Steilufer des Flusses

 

Heute durfte ich, Simon, mit meinem Uropa Karl im Fluss zum Schwimmen und Baden gehen. Er ging nicht mehr so oft zum Schwimmen. Ihn schmerzten immer die Gelenke nach dem Baden im kalten Flusswasser, sagte er.

Das sei halt so; im Alter werde man da eben entsprechend empfindlicher.

Verstanden habe ich das ja nicht, was das Schwimmen mit den Gelenkschmerzen zu tun haben sollte, aber wenn mein Uropa das sagt, ist es ja wohl so, oder?

Egal, heute schwamm er ja - mit mir.

Es war früher Abend, die Sonne leuchtete noch und verbreitete ihren goldenen Schimmer auf der sanften Oberfläche des Wassers.

Uropa und ich genossen es, wie schön, nur wir zwei! 

„Uropa, hörst du das auch, das Gefiepse?“, fragte ich ihn.

„Nein, hier ist es wunderbar still.“

„Doch, doch, Uropa. Hörst du nicht, dort ruft doch jemand etwas.“

„Ich höre nichts. Was ruft es?“

„Hilfe, ja Hilfe, es kommt von dort! Uropa, komm schwimme mit mir schnell dort hin, ich hab`s genau gehört, da braucht jemand Hilfe!“

Jürgen H. Riedel: Im Land der wilden Biber - Band 2
Häschen Annegret hängt im Steilufer des Flusses

Uropa Karl und ich sind dann schnell in Richtung der großen Flussschleife geschwommen.

Wow, ich wusste gar nicht, dass mein Uropa noch so schnell schwimmen konnte, ich kam ja gar nicht mehr so richtig nach.

Die Hilferufe wurden jetzt aber auch immer lauter, Uropa Karl rief mir während seiner kräftigen Schwimmzüge zu:

„Jetzt höre ich es auch! Komm Simon, schwimm schneller!“

 

Bei der Flussschleife sahen wir dann Annegret, das Feldhäschen, in der steilen Uferböschung. Sie hielt sich mit letzter Kraft an einem Busch.

„Hilfe! Hilfe!“ fiepste Annegret mit ihrer hohen, zittrigen Stimme immer wieder. 

 

Der Busch hatte seine Wurzeln nur knapp über den wilden und schäumenden Wellen des Flusses in das Erdreich des Steilhanges gegraben. Er bog sich bereits verdächtig nach unten, demnächst würde er aus der Steilwand herausbrechen und Annegret mit sich in das tosende Flusswasser reisen.

Jürgen H. Riedel: Im Land der wilden Biber - Band 2
ISBN 978-3-927648-52-4

Mit einem kräftigen Schwanzschlag war da aber mein Uropa bereits bei Annegret und rief,

„Pass auf, steige auf meinen breiten Biberschwanz!  Keine Angst, du schaffst das schon, ich bringe dich heil ans Ufer.“ 

Mir rutschte fast mein Herz in die Hose, was machte denn Uropa da? Das war ja der Wahnsinn, konnte das denn klappen?

In dem Moment bog sich der Busch noch stärker nach unten. Annegret rutschte vom Busch ab und kam genau auf dem breiten Biberschwanz von meinem Uropa zum Liegen. Schnell packte sie nach dem braunen, teilweise auch schon grauen Rückenfell und konnte sich gerade noch festhalten.

Uropa schwamm dann mit ihr zu dem flachen Uferstreifen nach der Flusskurve und setzte sie am Ufer ab.

Annegret war ziemlich durcheinander und sagte nur: „Danke, vielen Dank, ich glaube, ich wäre fast ertrunken.“

„Was wolltest Du denn so dicht am Steilhang? Du weißt doch, dass das sehr gefährlich ist,“ sagte mein Uropa zu Annegret.

„Ha noi“, antwortete sie, „ich wollte doch nur die schöne Blume oben am Steilufer für Mamas Blumenstrauß pflücken. Plötzlich war der Boden unter mir weg und ich bin nach unten gerutscht. Ohne den Busch und ohne Euch wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Jetzt gehe ich heim und erzähle alles meiner Mama.“

Uropa hatte dann noch eine total schöne Idee. Wir haben dann zu dritt noch einen Blumenstrauß für Annegrets Mama gepflückt, deshalb war Annegret ja eigentlich unterwegs und erst deswegen war es zu diesem Sturz gekommen.

 

Auf dem Heimweg meinte Uropa dann, das das ja gerade nochmals gut gegangen sei, seine Gelenke spüre er jetzt aber auch nicht mehr. Ich bin ja sooo stolz auf meinen Uropa Karl!



Vorwort

Hier ist sie wieder, die Familie Biberich.  Mama Johanna und Papa Hugo mit ihren Kindern  Sarah, Simon und Elise. Zusammen mit Oma, Opa sowie Uroma und Uropa lebt die Familie im Bibrawasser, einem großen See irgendwo im Norden.

Wie das bei Bibern nun mal so ist sind die Biberichs eine richtig liebevolle Familie, die immer zusammenhält. Aber wie in allen Familien, haben die Biberkinder  Sarah, Simon und Elise immer wieder Ideen, die das Leben der Biberichs ganz schön spannend und abenteuerlich machen.

Viele von Euch kennen die Biberichs und ihre Abenteuer sicher schon vom ersten Band aus dem „Land der wilden Biber“. Ihr werdet sehr gespannt sein, wie es bei den Biberichs weitergeht und welche Abenteuer sie jetzt zu bestehen haben.  

Wenn Ihr aber das erste Mal von den Biberichs hört, bin ich sicher dass ihr sie schnell in euer Herz schließen werdet.

 

Und denkt bei den Geschichten immer daran – die Verwandten der Biberichs leben jetzt auch vor unserer Haustür. Auch bei uns haben Bibereltern und Biberkinder so manches Abenteuer zu bestehen. In diesem Frühjahr kamen wieder die Biberkinder zur Welt . Auch sie werden von ihren Eltern behutsam auf das Leben vorbereitet, denn  Biberkinder haben viel zu lernen.

Egal ob ihr schon alte Freunde der Biberichs seid oder sie bisher noch nicht gekannt habt – wir wünschen euch viel Freude in ihrer Welt – ob bei den Biberichs oder draußen in der Natur.

 

Euer Franz Spannenkrebs

Biberbeauftrager des Regierungspräsidiums Tübingen



Begleitwort

Von Bibern und Menschen

Dass man Geschichten von Tieren erzählt, um menschliches Verhalten zu veranschaulichen, ist ein uraltes Verfahren. Äsops Fabeln sind das berühmteste Beispiel dafür, aber auch die alten Ägypter kannten schon solche Erzählungen. In der Bibel findet sich etwas Vergleichbares in Jotams Fabel von den Bäumen, die einen König suchten (Richter 9,7-16).

Jürgen H. Riedels Bibergeschichten stehen in dieser Tradition. Allerdings wenden sie sich ganz ausdrücklich an Kinder, vorzugsweise kleine Kinder, denen diese Geschichten vorgelesen werden sollen. Zwei Erzählabsichten treffen sich in diesen Geschichten:

Einerseits sind es Geschichten von Tieren, vor allem von einer Familie von Bibern, und die Kinder, die sie lesen oder hören, erfahren viel vom Leben der Biber, ihrem Verhalten, den Gefahren, denen sie ausgesetzt sind und ihrem Geschick, die Herausforderungen eines Biberlebens zu meistern.

 

Andererseits bilden die Geschichten in vielem das Miteinander einer menschlichen Familie ab, vor allem, was sich in einer solchen Familie aus der Sicht der Kinder so abspielt. Da wird von Streichen und von unvorsichtigem Verhalten erzählt, von Geschwisterrivalität und von gefährlichen Situationen, aber auch von Hilfsbereitschaft unter den Geschwistern, Unterstützung durch die Eltern oder Großeltern und von der Solidarität anderen gegenüber, die nicht zur Familie gehören.

 

Beide Erzählweisen unterstützen einander: Dass Tiere „menschlich“ geschildert werden, mag gerade kleinen Kinder helfen, sich in ihr Leben einzufühlen und sie als Gottes Geschöpfe wie wir selbst Wert zu schätzen. Umgekehrt: Dass menschliches Verhalten an Tieren dargestellt wird, schafft ein Stück Abstand und eine hilfreiche „Verfremdung“, die es leichter machen, das, was man aus solchen Geschichten lernen kann, für sich anzunehmen.

Die Biber sind im Kommen. Das ist für alle Naturfreunde eine gute Botschaft. Allerdings wissen wir, dass das auch die Konflikte mit den Menschen vermehren wird. Vielleicht helfen Riedels Geschichten zu mehr Verständnis dafür, dass auch die Biber ihren Lebensraum brauchen und beanspruchen dürfen. Und umgekehrt ist auf der menschlichen Ebene die Familie in Frage gestellt. Wer Riedels Bibergeschichten liest, dem wird auf unaufdringliche Weise vor Augen gestellt, wie viel Gutes und Hilfreiches das Miteinander in einer Familie bieten kann. Beides ist Grund genug, diese Geschichten (vor-) zu lesen und anderen weiter zu empfehlen.   

 

 

Bischof i.R. Dr. Walter Klaiber